
Rückentext
Kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes ziehen Charlotte und Simon in Charlottes Elternhaus in Dresden. Für den Traum eines gemeinsamen Lebens gibt sie eine profitable IT-Karriere auf, er das Schauspielerdasein in Berlin. Doch obwohl nach der kleinen Greta noch Karl zur Welt kommt, zeigen sich bald erste Risse im Glück. Statt sich zu trennen, trifft das Paar eine folgenreiche Entscheidung: Haus und Familie werden buchstäblich aufgeteilt; sie bewohnt mit dem Sohn die eine Haushälfte, er mit der Tochter die andere. Das Heranwachsen der Kinder in dieser bemühten Harmonie führt schließlich zu einer Katastrophe. Und die Familie muss sich fragen: Wie kann man weiter machen, obwohl alles vorbei ist?
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„Es ist das Bild, denkt sie. Ihr erstes Bild von Simon mit einem Kind hätte das mit ihrem eigenen Baby sein sollen. Sie wird den Anblick nicht mehr vergessen können: das es schon andere Kinder gegeben hat in seinem Leben. Wieder ein Stück Traum, das verschwunden ist.“ (Seite 61)
Diese wirklich unglaubliche Geschichte wird über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erzählt. Jedes Familienmitglied erzählt aus seiner Sicht, von seinen Empfindung und zu einer bestimmten Zeit. Ich habe mir die Mühe gemacht und mir ausgerechnet wie alt die Kinder zum jeweiligen Zeitpunkt der Geschichte waren. Bei den Eltern war es nicht ganz ersichtlich, nur einmal, 2019 wird erwähnt wie alt Charlotte ist. Über Simon konnte ich nichts finden. Für mich war das wichtig, weil ich einfach wissen wollte wie „reif“ die Kinder waren, bzw. in wie weit sie verstehen konnten, was da in ihrem Leben passiert.
„>Das hätte alles schön sein sollen. Mit Simon, mit euch Kindern. Bei anderen ist es auch schön. Ich versuche die ganze Zeit … ich strenge mich so sehr an … < (Seite 110)
Im ersten Teil erzählt Charlotte (2000 – 2001) Monat für Monat wie sie Simon kennen lernt, sie sich wieder aus den Augen verlieren und dann wieder zueinander finden. Sie erzählt was sie beruflich macht, wie sie sich ihr Leben vorstellt und vom schwierigen Verhältnis zu ihren Eltern.
„Greta hat eine Idee. Die Idee des Jahres, das frisch gestrichene Badezimmer hat sie darauf gebracht. Sie läuft in den Keller hinunter.
(…)
>Striche< , sagt sie atemlos, als sie wieder oben steht. >Wie Striche?<, fragt Simon. >In der Mitte der gemeinsamen Zimmer. Damit jeder auf seiner Seite bleibt.<
(…)
>Wir brauchen Regeln. Wenn es ein Spiel ist, müssen wir wissen, wer richtig spielt und wer falsch. Am Ende muss man sagen können: Du hast gewonnen, du hast verloren. Wer über den Strich tritt, ist tot!< (Seite 121)
Danach erzählt Greta (2010) die Geschichte weiter. Greta ist zu diesem Zeitpunkt 8 Jahre alt und Karl , ihr Bruder 5 Jahre alt. Es ist das Jahr in dem die Eltern sich „trennen“. Jedoch bleiben sie mit den Kindern im Haus wohnen. Simon und Greta bewohnen die eine Hälfte des Hauses, Charlotte und Karl die andere Hälfte.
Für Charlotte ist es zuerst einmal ein Spiel. Sie ist so „begeistert“, dass sie mit roter Farbe alle Zimmer in Hälften teilt und wehe Karl oder Charlotte übertreten die rote Linie, dann gibt es Punktverluste und Strafen. Doch je länger „das Spiel“ dauert, desto weniger Lust hat Charlotte darauf.
„>Ich will das wir damit aufhören. Das Spiel macht keinen Spaß mehr. Ich kann die Liste holen-wir rechnen aus, wer gewonnen hat und dann hören wir auf damit. <
(…)
>Ich zwinge sie, wieder meine Mutter zu sein.< Er schließt kurz die Augen. Aber diesmal antwortet er. >Tu das bitte nicht.<
(…)
>Wir haben das gemeinsam beschlossen, Charlotte und ich. Weil wir nicht weiter machen konnten wie vorher. So, wie es jetzt ist … zumindest streiten wir uns nicht mehr. Es fällt uns auch nicht leicht, aber es war unsere Entscheidung. Eine Erwachsenenentscheidung. < “ (Seite 143/ 144)
Im Jahr 2019 geht das Ganze dann weiter. Karl ist jetzt 14 Jahre alt und Greta 17 Jahre alt. Die letzten Jahre haben gravierende Spuren bei allen Beteiligten hinterlassen. Hier möchte ich jetzt nicht zu viel verraten, doch dies ist das Jahr, in dem die Tragödie passiert und die Familie scheinbar endgültige zerbricht.
„Sie hört sofort auf, ihn zu bedrängen, es kann nur Sekunden dauern, bis sie das Thema wechseln wird, um die Situation zu überspielen, aber er sieht ihre Enttäuschung. Sie hat ihm geglaubt, kurz ist er der Sohn gewesen, den sie sich immer gewünscht hat.“ (Seite 179)
Im letzten Kapitel (2019 – 2020) erinnert sich Simon an das Leben der Familie in den letzten 20 Jahren. Er fragt sich, ob man diese Tragödie hätte verhindern können … wenn die Familie zusammen gehalten hätte … wenn die Kinder nicht so aufgewachsen wären, sondern behüteter … wenn man die Trennung auch räumlich gestaltet hättet und die Kinder nicht getrennt hätte … wenn Charlotte und er doch einfach mehr miteinander geredet hätten … Viele Fragen, die Simon beschäftigen und um deren Antworten er ringt …
„Er will gar nichts Großes. Was er wirklich dringend will, das ist eine Schwester , mit der er jedes halbe Jahr die Küchenuhr von der Wand nimmt. Er will eine Mutter, mit der er das Grillfleisch verkohlen lassen kann, und einen Vater, der überhaupt einmal sein Vater ist.“ (Seite 220)
Was für ein unglaubliches Buch!!!
Ihr wisst, ich suche immer wieder Bücher, die „anders“ sind, die mich überraschen, mich an meine Grenzen bringen etc. Dies ist ein solches Buch!
Einige von Euch kennen mich persönlich und wissen, dass ich ein emotionaler Mensch bin. Und dieses Buch hat mir alle Emotionen abverlangt. Ihr könnt Euch nicht vorstellen wie oft ich kurz davor war, das Buch aus dem Fenster zu werfen, weil ich so Fassungslos war, was diese Eltern ihren Kindern angetan haben. Ich hab es auf den Tisch geschlagen, weil ich so wütend war über Entscheidungen und Gesagtes der Eltern. Am Ende war ich nur erschöpft und traurig darüber wie alles geendet hat.
Ich kann und möchte nicht näher auf den Inhalt eingehen, da Ihr selber durch dieses Tal der Emotionen gehen sollt. Ich kann nur sagen, Franziska Gerstenberg ist hier ein großartiger Roman gelungen. Eine Familiengeschichte von Träumen die wie Seifenblasen zerplatzen, von Entscheidungen die große katastrophale Auswirkungen auf das Leben jedes einzelnen haben und von Liebe, die vielleicht zu spät kommt …
Für mich ist dieses Buch bereits jetzt ein Lesehighlight in diesem Jahr. Bitte unbedingt lesen!!!
Chapeau liebe Franziska Gerstenberg, danke für diese unglaubliche Geschichte und den emotionalen Höllenritt. Doch solche Geschichten brauchen wir, um zu verstehen wie wichtig Familie und ein Zuhause sind ♥♥♥
„Was ist das schon, Zuhause. Eine Idee, und das Zentrum dieser Idee bildet keinesfalls der Ort, an dem man sich befindet. Zuhause muss sein, wo die Familie ist- wenn man eine hat. Denn wären wir sonst nicht verloren, selbst im Paradies?“ (Seite 288)
Was für eine hinreissende Buchvorstellung!
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