„Gute Nachbarn“ von Therese Anne Fowler

Droemer, Fester Einband, 352 Seiten, Preis: 20,00 Euro, ISBN: 9783426282519, Hier kaufen

Klappentext

In Oak Knoll, einem Vorort in North Carolina, ist das Leben noch in Ordnung. Die Nachbarschaft ist grün und der Zusammenhalt eng. Hier zieht die Forstwirtschafterin Valerie Alston-Holt ihren Sohn Xavier groß. Er ist ein Musiktalent und das Collegestipendium ist ihm so gut wie sicher. Dennoch hat er zu kämpfen, denn Valerie ist schwarz. Xaviers Vater war weiß, und er selbst passt nirgends so richtig hin.

Als auf dem Grundstück nebenan die Whitmans einziehen, verändert sich langsam, aber stetig die Gemengelage in dem kleinen Vorort. Brad Whitman ist mit einer Firma für Kühltechnik zu Geld gekommen und baut ein recht protziges Haus. Gemeinsam mit seiner Frau Julia und den Töchtern Juniper und Lily bildet er die scheinbar perfekte weiße Familie, die den amerikanischen Traum lebt. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn hinter der Fassade verbirgt sich manches Geheimnis.

Manchmal braucht es nur noch eine sterbende Eiche und eine Teenagerliebe, um eine hübsche Nachbarschaft von einer Katastrophe erschüttern zu lassen.

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„Ein hochpreisiges neues Haus in einem einfachen, alten Viertel. Auf einer Liege neben dem Swimmingpool ein Mädchen, das in Ruhe gelassen werden will. Wir beginnen unsere Geschichte hier, in den Minuten vor dem kleinen Ereignis, das alles verändern wird. Ein Sonntagnachmittag im Mai, an dem unser Viertel noch seinen prekären Frieden wahrt, das ungefähre Gleichgewicht von alt und neu, uns und denen. Später in diesem Sommer, bei der Beerdigung, werden die Medien vollmundig spekulieren, wer Schuld hat. Sie werden die Anwesenden auffordern, vor der Kamera zu sagen, auf wessen Seite sie stehen. Fürs Protokoll: Partei zu ergreifen war nichts, was wir wollten.“ (Seite 11)

 Oak Knoll ist eigentlich ein verschlafenes Örtchen, in dem die sogenannte Mittelschicht lebt. Doch immer mehr Reiche stellen fest, dass man dort günstig Häuser kaufen kann, diese dann abreißt, um ganz groß neu zu bauen. So macht es auch der zu Geld gekommene Brad Whitman. Für sein schickes Haus müssen auch Bäume fallen, was der Forstwirtschafterin Valerie so gar nicht gefällt. Doch erst einmal macht sie gute Miene zum bösen Spiel, da man ja in der Nachbarschaft lebt und ein gutes Verhältnis haben möchte.

Doch eines Tages fängt Valeries Lieblingsbaum an zu sterben. Eine sehr alte Eiche. Der Bau von Whitmans Haus und Pool hat die Wurzeln zerstört und als sich dann auch noch ihr Sohn in die Nachbarstochter verliebt, ist das Drama irgendwie vorprogrammiert. Denn Xaviers Vater war weiß und seine Mutter ist schwarz. Die Whitmans sind weiß.

 „Julia hörte zu, wie die Frauen planten, dem Paar, Esther und Hank, zu helfen und Besuche abzustatten. So ist es, dachte sie, wenn man Teil einer Gemeinschaft ist. Diese Frauen kannten sich alle und kümmerten sich umeinander – es machte sie schon glücklich, nur mit ihnen in einem Raum zu sein.“ (Seite 61)

Die Geschichte wird aus Sicht eines Nachbarn erzählt und er bindet mich als Leserin mit ein. Stellt mir Fragen, lässt mich reflektieren und hinterfragt auch die Entscheidungen der Nachbarn. Ich finde diese Art des Erzählens immer spannend, da sie  mir viele Möglichkeiten bietet.

Was erst einmal Harmlos und nett anfängt endet letztendlich in einer Tragödie. Nach ca. 100 Seiten habe ich einen Hass, ja wirklich Hass, auf Brad  Whitman bekommen. Er bedient das Bild eines Weißen in Amerika. Einer der Rassist ist, und seine Macht ausspielt wo und wie er nur kann. Ich musste fassungslos mit ansehen (lesen) wie er nicht nur das Leben von Xavier und Valerie zerstört, sondern auch des Leben seiner Tochter.

„Menschen sind, wie wir alle wissen, komplizierte Wesen. Nicht mal der simpelste von uns ist simpel. Wir alle sind geformt durch die, die uns aufgezogen haben, dadurch, wie und wo wir aufgewachsen. Haben wir zwei Elternteile? Nur einen? Gar keinen? Leben wir im Überfluss oder in äußerster Armut, oder führen wir ein solides Mittelklasseleben? Die Unterschiede spielen eine Rolle. Wechselnde Umstände vom Guten zum Schlechten oder vom Schlechten zum Guten ebenfalls.“ (Seite 159)

Ehrlich gesagt hätte ich bei diesem Titel nicht eine solche Geschichte erwartet. Aber das finde ich wiederum auch gut, denn somit hat mich das Buch positiv überrascht, auch wenn die Story echt harter Tobak ist. Dieses Buch ist ein Gesellschaftsroman über den Rassismus und Machtmissbrauch in Amerika.

„Das Damengambit“ von Walter Tevis

Diogenes, Fester Einband, 416 Seiten, Preis 24,00 Euro, ISBN: 9783257071610, Hier kaufen

Klappentext

Sie ist jung. Süchtig. Ein Schachgenie.

Beth Harmon lernt schon im Waisenhaus, ihren inneren Aufruhr mit den Pillen zu beruhigen, die die Kinder dort täglich schlucken müssen. Und der Hausmeister des Waisenhauses bringt ihr, achtjährig, das Schachspiel bei.

Nach ihrer Adoption durch die flatterhafte Mrs. Wheatley kann Beth ihre Schachpassion endlich ausleben. Sie spielt neben der Schule Turniere, wird bald Landesmeisterin von Kentucky, spielt um  US-Meisterschaft. Aber Beth überragende Begabung hat ihren Preis. Wird Beth ihren eigenen Weg finden oder ihr Talent mit Pillen und Alkohol zerstören? Und wird es ihr jemals gelingen, den Russen Borgov, den besten Spieler der Welt, zu schlagen?

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„Im Methuen-Kinderheim in Mount Sterling, Kentucky, bekam Beth, wie alle anderen Kinder auch, zweimal am Tag ein Beruhigungsmittel. Es sollte ihnen zu einem >ausgeglichenen Gemüt< verhelfen. Soweit sich das beurteilen ließ, war mit Beths Gemüt alles in Ordnung, doch schluckte sie die kleinen Pillen. Tief im Magen lockerte sich etwas, und die zermürbenden Stunden im Heim ließen sich leicht verdösen.“ (Seite 13-14)

Beth ist acht, als sie ins Waisenhaus kommt. Für sie ist es von Anfang an die Hölle. Mit kleinen grünen Pillen werden die Kinder dort ruhig gestellt. Doch Beth bekommt schnell raus, wie sie es anstellt, damit die Dinger eine, für sie „gute“ Wirkung haben. Und dann ist da noch der Hausmeister. Er bringt ihr das Schach spielen bei, und erkennt dabei ihr Potenzial. Beth nimmt heimlich an Turnieren in der direkten Umgebung des Waisenhauses teil und gewinnt eins nach dem anderen.

Dann wird Beth adoptiert und somit kommt ihre Leidenschaft erst einmal ein wenig zum erliegen. Doch dann merkt ihre Adoptivmutter wie begabt Beth ist und wie gut sich mit dieser Begabung Geld verdienen lässt. Von nun an unterstützt sie Beth und managt sie … mehr oder weniger.

So ziehen die Jahre ins Land und Beth hat nur einen Wunsch … einmal gegen den Großmeister Borgov spielen und gewinnen. Dann stirbt ihre Adoptivmutter und Beth ist wieder auf sich allein gestellt. Verfällt den grünen Pillen und dem Alkohol. Wird sie ihren Traum jemals verwirklichen können?

„Etwas in ihrem hatte sich gelöst: Sie kannte die Schachfiguren und wusste, wie man sie bewegte und sie schlug, und sie hatte herausgefunden, wie sie mit den Pillen, die das Waisenhaus ihr gab, die Spannung im Magen und in den Gelenken in ein Wohlgefühl verwandeln konnte.“ (Seite 22)

Ich gestehe, wir haben kein Netflix und somit kenne ich diese Serie nicht. Ich kann nur minimal bis gar kein Schach spielen, und doch hat mich dieses Buch gepackt, fasziniert und atemlos gemacht!!!

Es ist wirklich so, auch wenn man keine Ahnung von Schach hat, reist einen die Komplexität dieses Spiels in den Bann. Ich fand es super spannend was Beth alles angestellt hat, um ihre Gegner zu studieren. Wie sie in Gedanken Schachbretter aufgebaut hat, sich Züge überlegt um  ihre Gegner zu schlagen …

Da ist aber auch die traurige und einsame Beth, die sich mit Pillen und Alkohol betäubt …  und doch schafft sie es immer wieder sich aufzuraffen um ihren Traum, Borgov zu besiegen, ein Stück näher zu kommen.

„Sie vergaß wie müde sie war, und machte sich an die Arbeit. Es war kompliziert und mühselig. Und Luchenko hatte mehr Zeit. Sie entschied sich für einen Plan, den sie mitten in der Nacht entwickelt hatte, sie zog den Springer vom Damenflügel ab und schickte ihn auf eine Reise nach e4. Bestimmt war Luchenko darauf vorberietet und hatte das seit dem gestrigen Vormittag selbst analysiert. Vermutlich mit Unterstützung. Aber so gut er sein mochte, war ihm vielleicht doch etwas entgangen. Sie zog ihren Läufer von der Diagonalen weg, auf der sein Turm stand, in der Hoffnung, er würde nicht sehen, was sie damit bezweckte. Es sollte so aussehen, als wolle sie seine Bauernformation angreifen und ihn zwingen, diese durch einen Bauernzug zu schwächen. Seine Bauern kümmerten sie allerdings nicht. Sie wollte unbedingt den Turm vom Brett haben. Dafür hatte sie töten können.“ (Seite 389)

WAHNSINN!!! Was für ein Buch. Ich habe es verschlungen. Habe mit Beth gelitten, gezittert, gespielt, geweint und gefreut. Am Ende des Buches hatte ich das Gefühl, ich habe zig Stunden Schach gespielt. Ich war müde und euphorisch zugleich. Am liebsten hätte ich jede Menge Bücher genommen, um damit auf die Straße zu rennen und jedem ein Buch in die Hand zu drücken und zu sagen lesen! lesen! lesen!

Für mich ein absolutes Highlight in diesem Jahr, weil es so anders ist, so einzigartig, so verdammt gut!!!

„So wie du mich kennst“ von Anika Landsteiner

Fischer Krüger, Flexibler Einband, 352 Seiten, Preis 16,99 Euro, ISBN:9783810530745, Hier kaufen

Rückentext

Karla und Marie. Marie und Karla. Früher waren die beiden Schwestern eine Einheit. Doch dann kam das Leben dazwischen – so wie es das eben tut. Plötzlich steht Karla mit einer Urne im Arm an der scheiß Schönen Aussicht. Marie ist tot. Und Karla hat das Gefühl, dass sie ihre Schwester gar nicht richtig kannte. Sie fragt sich: Was weiß ich wirklich über die, die ich am meisten liebe?

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„(…) – an Tagen, wie der heutige einer war – musste der Anzug nicht ganz passen, da durfte der Stoff verrutschen, denn das Leben war es nun auch.“ (Seite 22)

 Marie und Karla wachsen auf dem Dorf auf. Sie sind Geschwister und stehen sich sehr nahe. Sie vertrauen sich alles an. Es gibt keine Geheimnisse zwischen ihnen. Später im Leben zieht Marie der Liebe wegen nach Amerika. Trotzdem bleiben die Schwerstern in Kontakt und erzählen sich nach wie vor alles. Die Liebe zerbricht irgendwann und doch Marie bleibt in Amerika. Doch dann passiert es, Marie kommt bei  einem Unfall ums Leben. Karla ist erschüttert, ihre Seelenverwandte ist tot.

Nachdem Marie in der Heimat beigesetzt wurde, reist Karla nach Amerika um Maries Wohnung aufzulösen. Doch dabei entdeckt sie Dinge, die so gar nicht zu Marie passten und Karla fängt an zu zweifeln, ob Marie ihr wirklich alles anvertraut hat, was sie bewegte …

 „Eine Wohnung weiß nicht, dass ihre Besitzerin nicht mehr wiederkommen wird. Und wenn niemand anderes aufräumt, ausräumt, wenn niemand wieder einzieht, dann wird nichts passieren, gar nichts. Ein Ort der Verlassenheit bleibt bestehen, doch darauf legt sich Staub, eine hauchdünne Schicht, die immer dicker und fester wird. Irgendwann kleben die Schichten zusammen. Die Momentaufnahme mit dem Staub, der sie konserviert.“ (Seite 41)

 Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt. Karla erzählt die Geschichte, in der sie nach Amerika fliegt, um die Dinge ihrer Schwerster zu ordnen. Dabei stößt sie auf Dinge, die eine ganz andere Marie/ Schwester zeigen, als sie sie kennt. Und dann erzählt die tote Marie über ihr Leben in Amerika und über die Geheimnisse, die sie ihrer Schwester verschwiegen hat.

„Aber Karla, und das ist ein Teil meiner schmerzlichem Wahrheit, weiß mittlerweile so vieles nicht. Und wo soll ich anfangen, wenn ich die vielen richtigen Momente für ein Geständnis immer wieder habe verstreichen lassen? Mit Karla ist es nie zu spät für die Wahrheit, aber ich weiß auch, wie sehr ich sie nach all der Zeit damit verletzten würde.“ (Seite 61)

 Ich muss gestehen, mich hat das Buchs ehr überrascht. Das Cover sieht eher nach einer Liebesgeschichte oder Freundinnengeschichte aus, also eher leichtem. Doch im Laufe der Story muss ich feststellen, dass es hier um viel mehr geht.

Es geht um Vertrauen, Wahrheit, aber auch um den Zwiespalt und Tabuthemen. Wie viel Wahrheit kann eine Schwester vertragen? Kann ich ihr erzählen, dass meine Ehe nicht so toll war, wie alle glauben? Dass sie von Gewalt geprägt war! Kann ich das meiner Schwester zumuten? Vielleicht war ich ja auch daran schuld, dass mein Partner mich so behandelt …

Mich hat die Geschichte um Karla und Marie sehr berührt. Vor allem Maries Geschichte ist bewegend und lässt mich nachdenklich zurück … Nicht alles was toll und schön erscheint ist es auch!

„Ich bin nicht ich ohne dich“ (Seite 79)

„Mittwochs am Meer“ von Alexander Oetker

Atlantik Verlag, Fester Einband, 176 Seiten, Preis: 18,00 Euro, ISBN: 9783455010961, Hier kaufen

Rückentext

Jeden Mittwoch fährt Maurice aus Paris in ein verträumtes Hafenstädtchen in der Bretagne, weil er dort einen beruflichen Auftrag hat. Der stille Mann aus der Hauptstadt stößt auf Misstrauen bei den rauen Einheimischen, den Fischern und Arbeitern. Doch dann lässt die geheimnisvolle Rezeptionistin  seines Hotels ihm einen Liebesbrief und einen Gedichtband zukommen. Maurice ist verzaubert von den Worten der Frau. Es ist der Beginn einer leidenschaftlichen Affäre, die jeden Mittwoch neu entflammt, den ganzen Sommer lang. Das Paar fühlt sich wie in einem Traum, der zur Reise wird und schließlich zu einer überraschenden Erkenntnis führt.

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Ein etwas „schrulliger“ Mann fährt jeden Mittwoch ans Meer. Er soll dort für eine Firma die Insolvenz begleiten. Jeden Mittwoch wohnt er in der gleichen Pension, da er immer eine Nacht bleibt. Doch an einem Mittwoch im Sommer trifft er anstatt der älteren Rezeptionistin, eine junge Frau an. Er ist sofort sehr angetan von dieser Frau. Und schon bald beginnen die Beiden eine Affäre mit ungewöhnlichem Ausgang.

„Ich habe diesen Zustand noch nie gefühlt. Bis vor zwei Wochen. Bist du mir passiert bist. Und jetzt laufe ich durch die Welt und fühle mich, wie Rimbaud es beschrieben hat: Alles kommt mir so unendlich intensiv vor, die Welt da draußen, ich betrachte die Menschen mit anderen Augen, viel gütiger, so kommt es mir vor. (…) Besonders aber fühle ich die Natur: Ich spüre, wie der Wind weht und wie heiß es ist, und alles kommt mir so vor, als sei es da, weil ich gerade so glücklich bin. Ich möchte mit nackten Füßen durch das Gras laufen und im Meer spazieren. Etwas, wonach ich mich nie gesehnt habe. Aber nun ist es so, als würde mir die Liebe eine neue Welt eröffnen. Ich verstehe, was er gemeint hat.“ (Seite 91)

Man nehme eine hübsche Frau, einen einsamen Mann, schöne Landschaft, einen Gedichtband von Rimbaud und schon hat man eine wundervolle Liebesgeschichte … oder so.  Na ja nicht so ganz. Diese kleine aber feine Sommerromanze hat etwas mehr zu bieten. Im Laufe der Geschichte verändert sich Maurice, aus den schrulligen Mann, wird ein offener , fröhlicher und glücklicherer Mensch. Die Liebe, ja die Liebe …

Mir hat die Geschichte gut gefallen …  ein schöner Roman für einen lauen Sommertag/ Sommerabend  mit dem man für ein paar Stunden ans Meer fliehen kann.  An manchen Stellen, vor allem am Ende ein bisschen „too much “ für mich, aber der Sommer verträgt das …  🙂

„Mittwochs am Meer“ erinnerte mich an „Das Mittwochszimmer“ von Dagmar Seifert, in der es auch um eine Affäre ging und die beiden sich immer Mittwochs in einem bestimmten Zimmer trafen. Dieses Buch kann ich auch sehr empfehlen.

 

„Ich, Antoine“ von Julie Estève

dtv Verlagsgesellschaft, Fester Einband, 160 Seiten, Preis: 20,00 Euro, ISBN: 9783423282710, Hier kaufen

Klappentext

Ein Dorf in den Bergen Korsikas, Mitte der 1980er-Jahre. Als die 16-jährige Florence tot im Pinienwald gefunden wird, ist ein Schuldiger schnell ausgemacht: Antoine Orsini, der Dorftrottel, dem die Walnussbäume näher sind als die Menschen und der ein Diktiergerät seinen besten Freund nennt. Jahre später hat er seine Haftstrafe abgesessen und kehrt zurück. Noch immer spricht im Dorf niemand mit ihm, und so streift Antoine allein umher und berichtet einem Plastikstuhl davon, was damals wirklich geschehen ist.

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„Irgendwann werde ich kein Spasti mehr sein! Irgendwann werde ich für die anderen Antoine Orsini sein. Ich werd n cooles Image haben, man wird mich beneiden, wie 1983, als ich für alle noch der Glücksbringer war!“ (Seite 27)

Antoine ist mittlerweile in die Jahre gekommen, und er ist immer noch der Dorftrottel. Doch jetzt will er erzählen wie es damals wirklich war, die Sache mit Florence und so … Er erzählt seine Geschichte einem Plastikstuhl und seinem bestem Freund Magic, einem Diktiergerät. Die Menschen im Dorf meiden ihn, machen ihn immer mehr zum Außenseiter und letztendlich hat das seine Folgen …

„Florence war n Mädchen, das einen komplett um den Verstand bringen konnt. Wenn die Jungs sich mit ihr unterhalten haben, waren sie immer wahnsinnig lieb und haben dabei so ausgesehen, als ob sie irgendwie Hunger hätten. Haben dauernd an ihr rumgefingert, haben ihre Schulter angetatscht, sie um die Hüften gefasst, ihre Hand genommen und ihr Küsschen auf die Backe gegeben.“ (Seite 31)

Dies ist wieder eins dieser Bücher, das nicht wirklich schön ist. Die Geschichte/ das Leben von Antoine hat mich traurig zurückgelassen. Von niemandem geliebt, immer nur der Spasti, muss er viel einstecken im Leben. Wenn irgendetwas im Dorf passiert ist, war es Antoine. Immer war alles und jedes Antoine. Er ist ja der Spasti, der ist ja dumm und kann sich nicht wehren. Wie denn auch. Der stinkt, hat Läuse, bepisst sich und noch vieles mehr … eben ein Spasti. Und dabei hätte es nur ein bisschen Liebe und Aufmerksamkeit gebraucht, denn Antoine ist schlau, hat viel mehr auf dem Kasten, als die Leute im Dorf ahnen.

Julie Estève bedient sich einer einfachen teilweisen sehr vulgären Sprache, die mich aber nicht abgeschreckt hat, sondern mir Antoine viel näher gebracht hat. Ich habe diesen kleinen Kerl, später Mann sehr gemocht.  Viele Passagen haben mich erschüttert, was dieser kleine Kerl alles aushalten musste und dennoch immer wieder versucht hat sich nicht unterkriegen zu lassen, aber eine Dorfgemeinschaft, die immer wieder Antoine zum Sündenbock macht, bricht ihn schließlich ganz.

„Im Anschluss wollten sie, das ich die Steine fress, weil Spastis nun mal Steine fressen, haben sie gesagt. Waren ne Zehnerbande, haben mich aufn Boden gedrückt, in den Schlamm, haben sich auf meine Hände und meine Beine gekniet und mir die Nase zugehalten, weil ich n Mund nich aufmachen wollt. Wie ich ihn dann aufgemacht hab, haben sie mir ne Handvoll Kieselsteine reingeschüttet! Haben mich in den Schwitzkasten genommen und mir wieder die Nase zugehalten, damit ich schlucken muss!“ (Seite 87/ 88)

Wie bereits gesagt, kein leichtes und schönes Buch, aber eins, dass uns einen Blick auf uns werfen lässt, um sich zu fragen, wie es mit den eigenen Vorurteilen gegenüber bestimmten Menschengruppen aussieht … und was das mit diesen Menschen macht!

Bitte lesen!

 

 

 

„Der große Sommer“ von Ewald Arenz

DuMont Buchverlag, Fester Einband, 320 Seiten, Preis: 20,00 Euro, ISBN: 9783832181536, Hier kaufen -> Klick aufs Bild

Klappentext

Als erwachsener Mann läuft Frieder über einen Friedhof. Während er nach einem bestimmten Grab sucht, erinnert er den Sommer, der ihn für immer geprägt hat. Die Aussicht, sich bei seinem unnahbaren Großvater auf die Nachprüfungen vorbereiten zu müssen, findet Frieder niederschmetternd. Doch dann kommt alles anders als erwartet: Er verbringt die Wochen nicht eingesperrt in einer Lernstube. Vielmehr erlebt Frieder mit Beate die erste große Liebe, mit all den aufregenden und verunsichernden Momenten, die dazugehören. Er erfährt von der komplizierten und dennoch beglückenden Liebe seine Großeltern. Er genießt unbeschwerte Tage im Schwimmbad, die tiefe Verbundenheit mit seiner Schwester Alma und seinem besten Freund Johann. Zugleich gerät er in Situationen, in denen er lernt, was es heißt, wahrhaftig ein Freund zu sein – und das nicht zuletzt durch den Großvater. Frieder ahnt, dass es ein Sommer ist, wie es vermutlich keinen zweiten mehr für ihn geben wird.

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Kurz vor den Ferien lernt Frieder Beate kennen. Er findet sie auf Anhieb toll. Doch die Ferien stehen vor der Tür und mit ihr die Gewissheit, dass er seine Ferien bei seinen Großeltern verbringen muss, um dort mit seinem Großvater für die Nachprüfung zu lernen. Frieder ist alles andere als begeistert. Doch dann passiert das Unwahrscheinliche … das Lernen mit dem Großvater ist gar nicht so öde und er hat mehr Freiheiten als gedacht … und so erlebt Frieder einen Sommer, den er nie vergessen wird …

„Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur einmal im Leben gibt. Dieser eine Sommer, den hoffentlich jeder hatte; dieser eine Sommer, in dem sich alles verändert. Ja. Vielleicht ist es nicht Trauer allein, sondern vor allem eine Sehnsucht nach diesem Sommer – nach diesem unwiederbringlichen, zitternd schönen Zauber der ersten Male.“ (Seite 11)

Zuerst habe ich gedacht, noch so ein „Coming-out-of-Age Roman, doch schnell wurde mir klar, der hier ist anders. Bei Wells habe ich mich ja beim Lesen zu Tode gelangweilt, vielleicht weil ich nicht die sogenannte Zielgruppe war. Anders bei diesem Buch. Vielleicht liegt es daran, dass sich Frieder als „alter Mann“ an diesen Sommer erinnert und es auch ein paar Einschübe aus seinem jetzigen Leben gibt. Ich habe Frieders Geschichte sozusagen inhaliert, so als wäre ich ein Teil der Geschichte.

Ich bin jetzt noch ganz beseelt von diesem Buch. Was für eine schöne Sprache, was für tolle Sätze. Mit jedem Wort merkt man, das es Ewald Arenz Spaß gemacht hat, dieses Buch zu schreiben. Selten habe ich es erlebt, dass ein Autor seine Figuren „liebt“. Jede einzelne ist bis ins kleinste hervorragend definiert, so real. Dieses Buch/ diese Geschichte lässt mich mit ganz viel Wärme und Liebe zurück.

Danke Ewald Arenz für diesen Lesegenuss ♥

„Heute ist so ein Tag. Ein Tag, an dem ich mich frage, ob aus dem Jungen von damals, dieser Mann werden musste, der zu früh aufwacht und überlegt, ob er sein Leben noch richtig lebt.(…) Da kommen sie alle, so jung, wie wir es damals waren: Alma. Johann. Beate. Und Nana. Immer wieder denke ich an den Sommer, aus dem für mich alles hervorgegangen ist: mein Leben, wie es heute ist.“ (Seite 40)

„Das Glück meiner Mutter“ von Thommie Bayer

Piper Verlag, Fester Einband, 224 Seiten, Preis: 22,00 Euro, ISBN: 9783492057264, Hier kaufen -> Klick aufs Bild

Klappentext

Phillip Dorn hat nach Monaten harter Arbeit Ferien verdient. Allein bricht er auf nach Italien, um in der Ruhe eines Ferienhauses seine Gedanken zu ordnen. Phillip genießt die Pasta und den Rotwein, macht Ausflüge in die toskanische Umgebung und lauscht nachts dem Konzert der Zikaden. Während alldem stellt er sich seinen großen Fragen: warum die Beziehung zu Brigitte zerbrochen ist und welchen Anteil er am Unglück seiner Mutter hat. In seiner willkommenen Einsamkeit wird er eines Nachts jäh gestört, als sich eine junge Frau in seinen Garten stiehlt und ihn mit der selbstverständlichen Art, in einem fremden Pool zu baden, in ihren Bann schlägt. Bis sie auf seiner Terrasse steht und sich als seine Nachbarin Livia vorstellt. Auf einen Wein und eine späte Zigarette kommen die beiden von nun an jede Nacht zusammen, und Phillip beginnt sich der faszinierenden Fremden immer näher zu fühlen. Und auch Livia zieht ihn immer mehr ins Vertrauen über ihr eigenes Leben.

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„Meine Altersgenossen, zumindest die Großstadtbewohner unter ihnen, landen über kurz oder lang beim Alleinsein. Ob wir nun bindungsunfähig oder -unwillig sind, ob wir Familien gegründet und später auseinandergerissen oder gar nicht erst haben zustande kommen lassen, ob wir erträgliches oder eher prekäres Auskommen, wirkliche Freunde oder nur Kollegen haben – die meisten von uns müssen damit zurechtkommen, dass ein Leben ohne Kompromisse auch ein Leben ohne Partner ist.“ (Seite 88)

Phillip Dorn, erfolgreicher Drehbuchautor beschließt sich endlich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen … mit seinem Traumauto, ein Cabriolet, eine Reise in die Toskana zu machen. Es ist eine Reise, die er gedanklich mit seiner Mutter macht. Einer Frau, die immer für ihn da war, die sogar dem Son zuliebe,  auf ein glückliches Leben mit einem Mann verzichtet hat. Dorn erinnert sich auf der Fahrt in die Toskana und später auch an seinem Urlaubsziel an seine Mutter, an ihre Warmherzigkeit und Güte. Er reflektiert aber auch sein eigenes Leben. Seine zerbrochene Beziehung, seiner Einsamkeit, gewollt oder ungewollt und stellt sich letztendlich auch die Frage, wie wäre beider Leben verlaufen, wenn die Mutter mit dem Sohn das andere Leben gelebt hätte …

„Das muss das Alter sein, dachte ich, wenn dir auf einmal klar wird, dass das Beste, was dir passieren kann, die Aussicht ist, dass alles so bleibt, wie es ist, dass dich keine Krankheit niederwirft, niemand an dir ein Verbrechen verübt, Siechtum und Tod dich möglichst lange nicht erwischen – wird Zeit, zu begreifen, dass du glücklich bist. (…)Die Abwesenheit von Glück merkt jeder, die Anwesenheit nicht unbedingt.“ (Seite 157/158)

 Dieses kleine, aber feine Buch hat mich berührt. Auf zweierlei Weise … da ist diese Mutter, die für ihren Sohn auf ein „besseres“ Leben verzichtet, und die dennoch so voller Liebe, Güte und Warmherzigkeit ist, und diese ihrem Sohn gibt. Und dann ist da Phillip, der Sohn, der sich fragt, ob seine Mutter ein besseres und glücklicheres Leben gehabt hätte, wenn er ihr nicht im Weg „gestanden“ hätte.

Auf dieser Reise ist Phillip seiner Mutter nahe und wird ihr durch eine besondere Begegnung noch näher kommen …

Behutsam erzählt Thommie Bayer diese Geschichte und lässt mir als Leserin den Platz, mir meine eigenen Gedanken zu diesen Themen zu machen. Wie wirkt sich mein Leben, meine Entscheidungen auf das Leben andere in meinem Umfeld aus?

„Als Kind konsumierst du Liebe und Fürsorge wie Atemluft, sie ist einfach da und wird nicht knapp oder giftig, als Erwachsener fällt es dir unter Umständen nicht ein, ebenso oder wenigstens ähnlich fürsorglich und liebevoll mit deinen Eltern umzugehen, wie sie es damals mit dir taten.“ (Seite 199)

 

 

„Das Geheimnis von Zimmer 622“ von Joël Dicker

Piper Verlag, Fester Einband, 624 Seiten, Preis: 25,00 Euro, ISBN: 9783492070904, Hier kaufen

Klappentext

Im Frühsommer des Jahres 2018 packt der bekannte Schriftsteller Joël Dicker seine Koffer. Er reist von Genf in die Schweizer Alpen, um dort im Palace de Verbier die Ferien zu verbringen. Suite 623 ist beriet für ihn vorbereitet. Gleich am ersten Tag seines Aufenthalts macht er die Bekanntschaft einer charmanten Engländerin. Scarlett Leonas. Angeregt unterhält er sich mit ihr über die Kunst des Schreibens und ahnt nicht, dass er wenig später mit ihr tief in ein ungelöstes Verbrechen hineingezogen werden wird. Denn in Zimmer 622 geschah einige Jahre zuvor ein Mord, der  Täter wurde nie gefasst. Merkwürdigerweise existiert das Zimmer gar nicht – Joël Dicker beginnt zu recherchieren und stößt auf die abgründigen Machenschaften einer alten Genfer Bankiersfamilie …

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Nachdem ich im letzten Jahr meinen ersten Dicker gelesen habe (Das Verschwinden der Stephanie Mailer), war ich auf den neuen Roman mehr als gespannt. Und was soll ich sagen? Der Mann kann schreiben. Ich bin ab sofort ein Dicker Fan Girl ♥

Worum geht es … Dicker muss gerade den Verlust seines Agenten verarbeiten, und beschließt eine kleine Auszeit zu nehmen. Er fährt in die Schweizer Alpen. Sein Zimmer ist die Suite 623. Am Abend lernt er die charmante Scarlett kennen, die ihn als den Autor erkennt. Im Laufe des Abends bringt Scarlett das Gespräch auf das fehlende Zimmer 622 und überredet Dicker gemeinsam mit ihr herauszufinden was es damit auf sich hat. Als sie den Portier dazu befragen wollen, rückt dieser nicht so wirklich mit der Sprache raus. Die Beiden beschließen weiter nachzuforschen und stoßen auf eine unglaubliche Geschichte des Bankhauses Ebezner, welches eine 300jährige Geschichte aufweist. Der Präsidentensitz der Bank wird immer an den Nachfolger vererbt. Doch Abel Ebezner entscheidet sich gegen seinen Sohn und somit nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Mehr möchte ich zu diesem sehr komplexen, aber gut zu lesenden Geschichte nicht verraten.

Das was dann auf 624 Seiten passiert ist einfach unglaublich. Dicker schafft es immer wieder eine neue Spannung aufzubauen, in dem er Wendungen(Geheimnisse, Intrigen, Schicksale) einbaut, mit  denen ich nie und nimmer gerechnet habe. Und das Ende ist dann noch einmal mega gemacht, weil dann alles langsam aufgelöst wird und zwar wieder vollkommen anders als ich geglaubt habe.

Ich sag nur … unbedingt lesen!!!

„Heute beissen die Fische nicht“ von Ina Westman

mareverlag, Fester Einband, 256 Seiten, Preis: 22,00 Euro, ISBN: 9783866486454, Hier kaufen:

Klappentext

Eine Familie verbringt ihren Sommer auf einer abgelegenen Insel im finnischen Schärengarten. Vater, Mutter, Kind – Joel, Emma und Fanni: Die Idylle könnte perfekt sein. Doch Emma, die Fotojournalistin ist und häufig in Krisengebieten unterwegs, wird von heftigen Kopfschmerzattacken und Halluzinationen geplagt: Treibt dort aus dem Nebel wirklich ein verlassenes Boot auf sie zu? Und sitzt da vorne auf dem Stein tatsächlich eine dunkelhäutige Frau und blickt aufs Meer? Oder sind es nur Erinnerungsfetzen an ein vergangenes Geschehen, das Emma bis in ihr Sommerrefugium verfolgt und droht, sie von sich selbst und ihren Liebsten zu entfremden?

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Emma und ihre Familie verbringen den Sommer auf einer finnischen Insel. Emma wurde gerade operiert. Am Kopf. Ein schlimme Verletzung. Woher und wie sie entstanden ist? Emma kann sich nicht erinnern. Nicht wirklich, aber Nacht für Nacht und sogar am Tag steigen Erinnerungsfetzen in ihr hoch. Doch die sind so furchteinflößend, dass Emma denkt sie wird verrückt. Sie verschließt sich immer mehr und redet kaum noch mit ihrer Familie, aus Angst vor dem was sie erlebt hat.

Joel weiß nicht, wie er mit der Krise seiner Frau umgehen soll. Er hat keine Ahnung von dem was sie in ihrem Job erlebt hat. Die beiden sprechen/ sprachen nie darüber. Jetzt wünscht er sich, sie hätten öfter darüber gesprochen, dann hätte er vielleicht jetzt einen Zugang zu ihr.

Fanni versteht nicht, was mit ihrer Mutter passiert, und warum diese sie entweder von sich stößt oder sie umklammert und keine Sekunde aus den Augen lässt. Auch ihr Vater kann es ihr nicht erklären. So wendet sie sich immer wieder an ihren Großvater und führt mit ihm ihre Gespräche.

„Später dachte ich, dass damals wohl mein Schweigen begann. Von da an ließ ich auch andere Dinge unerwähnt, zuerst Erlebnisse von meinen Dienstreisen, Dinge, die in meine Träume vordrangen, die wachsenden Beklemmungen, die Hoffnungslosigkeit, die gegenüber der Hoffnung immer mehr Raum gewann. Den Zweifel an unserer Beziehung, den Zweifel, der von Anfang an da gewesen und eigentlich nie weggegangen war. Den Wunsch, ein Kind zu haben, den Wunsch kein Kind zu haben.“ (Seite 107/ 108)

Dieses Buch ist dunkel, melancholisch zuweilen sehr traurig und an vielen Stellen schrecklich. Dunkel und melancholisch, weil die Stimmung der Protagonisten an keiner Stelle fröhlich ist. Alle sind traurig, suchen nach Erklärung und hängen ihren Gefühlen und Gedanken nach. Traurig und schrecklich sind die Erinnerungsfetzen von Emma … Menschen die fliehen, Boote auf dem Wasser, Tote im Meer, Krieg, Rassismus, Verfolgung … Wirklich an vielen Stellen keine leichte Kost, und doch hat mich dieses Buch sehr berührt, da die Autorin mit diesen Themen sehr behutsam in Emmas Erinnerung umgeht, und mir als Leser wieder einmal mehr bewusst wird, was Journalisten bzw. Menschen in Krisengebieten sehen und erleben. Und dieses Geschehnisse auch ihre Spuren bei jedem Einzelnen hinterlassen. Spuren die keiner sieht oder ahnt, einen Menschen aber verändern …

 

 

„Unter Wasser Nacht“ von Kristina Hauff

hanserblau, Fester Einband, 288 Seiten, Preis: 20,00 Euro, ISBN: 9783446269453, Hier kaufen

Klappentext

Inga und Sophie sind beste Freundinnen. Obwohl sie nicht unterschiedlicher aufgewachsen sein könnten: Sophie in einer schneeweißen Villa in Hamburg-Othmarschen und Inga als Tochter eines Fährmanns in Harlingerwedel. Sie wohnten während des Studiums zusammen, saßen auf den Anti-Atomkraft-Demonstrationen bei Gorleben nebeneinander und träumten von einer gerechten Zukunft.

Jetzt wohnen sie in bürgerlicher Idylle im Wendland. Doch während Inga und ihr Mann Bodo ihre vermeintlich perfekten Kinder zum Fußball und zur Chorprobe fahren, kämpft Sophie um ihre Ehe mit Thies. Seit ihr Sohn Aaron in der Elbe ertrank, vergiftet Misstrauen die Beziehung der beiden. Und als eine Fremde in den Ort kommt und die Wunden wieder aufreißt, müssen Sophie und Inga sich fragen, was aus ihrem Leben, ihrer Freundschaft und aus ihren Träumen geworden ist.

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Inga und Sophie sind beste Freundinnen. Kennen sich seit der Schulzeit, ziehen im Studium in eine Wohnung und auch, als die beiden schon verheiratet sind, verbindet die beiden Frauen viel. Sie leben nebeneinander auf einem Hof im Wendland. Doch die Freundschaft hat einen Riss bekommen. Denn Sophies und Thies Sohn ist vor 13 Monaten  auf tragische Weise ums Leben gekommen. Nun sieht Sophie tagein, tagaus die Familienidylle von Inga.

Inga und Bodo möchten die Freunde in ihrer Trauer auffangen, doch die beiden lassen keinen an sich ran, und so wird es für alle Beteiligten immer schwieriger weiterhin zusammen zu leben. Eines Tages tauch eine Unbekannte auf dem Hof auf und wirbelt alles durcheinander. Thies fühlt sich von der Unbekannten angezogen, flirtet mit ihr und fühlt sich seit Aarons Tod auf einmal wieder lebendig. Aber auch Inga und Sophie fühlen sich auf eine besondere Art und Weise von Mara, der Unbekannten, angezogen. Doch welches Geheimnis führt Mara ins Wendland?

„Sie dachte daran, wie alles begonnen hatte, in den Tagen, als Bodo und Inga ihnen ein Teil des Grundstücks abkauften und ihr Haus darauf bauten. Die besten Nachbarn der Welt: ihre Freunde. So viele Hoffnungen und Träume hatten sie geteilt. Für Inga hatten sie sich alle erfüllt, für Sophia nicht.“ (Seite 13)

Die Geschichte um die Familien wird in einzelnen Kapiteln immer aus der Sicht einer Person erzählt. Mal kommt Inga zu Wort, mal Sophie, Mara oder eines der anderen Familienmitglieder. Und dabei kommt so nach und nach ein Geheimnis, ach dem anderen an die Oberfläche, und die scheinbare Idylle ist gar nicht mehr so idyllisch.

Mich hat dieses Buch sehr bewegt. Jede Person in der Geschichte hat so sein Päckchen zu trage, hat seine Geheimnisse, die er für sich behält. Im Laufe der Geschichte sieht man aber, was diese „Geheimniskrämerei“  für Folgen haben kann. Vieles wäre vielleicht anders gelaufen, hätte einer der Protagonisten mal etwas gesagt bzw. gehandelt. Am meisten hat mich später Aaron  nicht mehr losgelassen. Was ich über ihn erfahren habe, hat mich sprachlos zurück gelassen. An dieser Stelle hätte ich gern mehr über ihn erfahren, um sein Handeln verstehen zu können.

„Sie hatte viel zu lange einfach nur still gehalten, hatte gedacht, dass Schuld und Scham sich irgendwann auflösen mussten, aber das war nicht geschehen. Sie hatte sich geschämt für ihre Gefühllosigkeit gegenüber Aaron. Erst jetzt fühlte sie etwas, wenn sie an ihn dachte. Diese brennende Wut.“ (Seite 132/ 133)

Den Roman von Kristina Hauff habe ich sehr gerne gelesen. Es ist ein Buch über Familie, Trauer, Lügen und Geheimnisse, das einen nachhaltig beschäftigt. Die Geschichte berührt, da man deutlich die Trauer und die Verzweiflung bei Thies und Sophie über den Verlust ihres Sohnes spürt.