
Klappentext
Eine Frau versteckt sich in einem Ferienhaus, sie kauert sich zusammen, versucht die Stimme ihres Babys aus dem Kopf zu bekommen, des kleinen Jungen, der immer schreit und nie schläft. Vor ihm ist sie weggelaufen.
Ein Junge lebt im Internat, seine Mutter hat er nie kennengelernt. Wenn er in der Werkstatt mit Holt arbeitet, spürt er eine wütende Energie, die er genießt und nicht versteht und die ihn antreibt, etwas im Holz freizulegen, aber was?
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„Die Entscheidung für das Kind war eher beiläufig gefallen. (…) In München hatte sie die Pille nicht dabei. Lena bemerkte es im Badezimmer, als sie sich die Zähne putzte. Sie zögerte, ging dann zurück ins Zimmer. Und schlief mit Robert.“ (Seite 21)
Zuerst muss ich etwas zur Buchgestaltung sagen. Es gibt kein wirkliches vorne oder hinten beim Buch. Denn man kann es von vorne und von hinten lesen. Es gibt zwei Cover. Das eine zeigt eine Frau, dreht man das Buch, sieht man einen Jungen. Schlägt man das Buch mit dem Cover der Frau auf, erzählt die Mutter die Geschichte, bis ca. zur Hälfte des Buches. Dreht man das Cover und schlägt das Buch auf, erzählt der Junge die Geschichte. Also praktisch eine Geschichte aus zwei Blickwinkel, wobei das nicht so ganz stimmt …
„Una war offiziell immer nur mein Kindermädchen gewesen, dabei war sie die beste Mutter, die ich mir vorstellen konnte.“ (Seite 20)
In der Hälfte des Buches in der die Frau erzählt, erfahre ich von einer jungen Frau, die sich verliebt. Eigentlich ist sich das Paar einig, dass sie keine Kinder möchten. Doch eines Tages fällt die Frau die „beiläufige Entscheidung“ ein Kind zu bekommen und setzt ihren Partner erst später davon in Kenntnis. Sie bekommt das Kind und es stellt sich heraus, sie kommt damit nicht klar. Sie ist einfach überfordert. In ihrer Not verschwindet sie und überlässt dem Vater das Kind.
„Ich stand wieder auf, mit tauben Beinen und wunden Fingern. Meine Mutter hatte schließlich auch irgendwo weitergemacht. Kurz bevor ich den Innenhof des Quellsprings betrat, Roberts Auto war längst wieder abgefahren, ich wusste es, ich musste gar nicht nachgucken, wurde mir so übel vom Gedanken an Lena, dass ich mich auf den Boden erbrach, kakaofarbige klebrige Flüssigkeit.“ (Seite 36)
Im Teil des Jungen, ist das zurück gelassenen Kind schon ein junger Erwachsener. Hier erfahre ich, was es mit dem Kind/ Jungen gemacht hat, dass seine Mutter ihn verlassen hat. Sein Vater hatte keine Zeit sich um ihn zu kümmern und überließ ihn einem Kindermädchen. Ich spüre beim Lesen die Wut dieses jungen Mannes, und wie er mit der „beiläufigen Entscheidung“ seiner Mutter lebt/ leben muss.
„Im Besprechungszimmer des Arztes saßen wir nebeneinander. Ihre Hand auf ihrem Schenkel war meiner Hand, der rechten, der gesunden, so nah. Ich sah, wie ihr kleiner Finger zuckte. Wir hätten uns berühren können, nur eine kleine Bewegung wäre dazu nötig gewesen, eine verständliche Regung auch. Aber die Menschen taten es bei mir nicht mehr, mich berühren. Nur Kasper hatte die Schicht, die mich umgab, mich gleichermaßen abschirmte und entfernte, durchbrochen. Una wahret den Abstand. Schon lange. Was mich traurig machte, ich ihr aber nicht sagen konnte. Es war ihr nicht bewusst. Ich glaube, sie wundert sich immer noch, was für ein Mensch aus dem Baby geworden war, das sie einst betreut hatte, das aus einem zufälligen Arrangement zu ihrem Kind geworden war. >Sie hat Konrad großgezogen<, so hatte Robert das beschrieben und dabei überhaupt nicht verstanden, was Una für mich und ich für sie war.“ (Seite 58/ 59)
Was für ein tolles, aber auch schwieriges Buch. Da ist einmal die Verzweiflung der Mutter und dann die Einsamkeit eines zurückgelassenen Kindes. Für mich war es spannend zu lesen, was diese „beiläufige Entscheidung“ mit den Protagonisten gemacht hat.
Absolute Leseempfehlung!