Den Traum leben

Insel Verlag Flexibler Einband  491 Seiten Erscheinungsdatum:711.04.2016  Preis: 14,99 € ISBN: 9783458361411

Insel Verlag
Flexibler Einband
491 Seiten
Erscheinungsdatum:711.04.2016
Preis: 14,99 €
ISBN: 9783458361411

Klappentext
Romy könnte eine große Schauspielerin sein, aber niemand sieht sie, denn sie ist nur eine Souffleuse. Aber auch das nicht lange, denn nach einem harmlosen Flirt mit dem Hauptdarsteller Ben, dessen einzige schauspielerische Glanzleistung sein Auftritt als „Frischedoktor“ in einem Waschmittelspot ist, wird sie gefeuert. Und Ben kurz nach ihr.
Romy kehrt zurück in ihr winziges Dorf, um dort ihr Erbe anzutreten. Hier leben nur noch Alte. Und die haben sich in den Kopf gesetzt, rasch das Zeitliche zu segnen, denn auf dem Friedhof sind nur noch zwei Plätze frei. Wer da zu spät kommt, muss auf den Friedhof ins Nachbardorf. Und da gibt es – wie jeder weiß – nur Idioten.
Romy schmiedet einen tollkühnen Plan: Sie will mit den Alten ein elisabethanisches Theater bauen. Aus der gammligen Scheune hinter ihrem Hof. Und mit ihnen Romeo & Julia auf die Bühne bringen. Sie haben kein Geld, keine Erfahrung, aber einen Star: Der „Frischedoktor“ soll Regie führen! Ben ist begeistert: Regisseur! Das könnte unter Umständen der erste Job werden, den er nicht voll gegen die Wand fährt …

∗∗∗

„Es war nicht nur die klare, frische Luft, die so vertraut die Haut streichelte, es war, als spürte sie neben den Häuschen, Sträßchen und Gärten auch die, die hier schon immer gewohnt hatten. Sie hörte ihre Stimmen, ihr Gelächter, ihr Gemecker und ihr Seufzen wie ein immerwährendes Flüstern alter Geschichten, die das Laub rascheln ließen oder wie Pollen im Sonnenlicht tanzten. Erinnerungen. Wie die Farbe, die auf den Fassaden langsam verblasste.
Heimat war nicht das was man sah, sondern das, was andere niemals sehen würden.“ (Seite 35)

Romy möchte nichts anders in ihrem Leben als Theater spielen. Ihr größter Wunsch ist es einmal im Leben die Julia in Romeo & Julia zu spielen. Doch leider hat sie es bisher nicht auf die Bühne geschafft. Sie ist die, die keiner sieht, aber von der so viel abhängt … die Souffleuse. Am Tag der Premiere ereilt sie die Nachricht vom Tod ihrer geliebten Großmutter. Sie versemmelt die Premiere und bekommt die Kündigung.

Sie fährt in ihre Heimat, dem Ort an dem sie aufgewachsen ist, um die Beerdigung ihrer Großmutter zu organisieren. In dem kleinen Ort leben fast nur alte Menschen. Menschen, die einmal Romys Heimat waren. Doch unter ihnen ist ein Wettstreit ausgebrochen. Nach dem Tod von Romys Großmutter sind nur noch drei Plätze auf dem örtlichen Friedhof frei und alle Alten wollen einen dieser begehrten Plätze. Mehrere Bewohner des Dorfes versuchen per zufällige Unfälle eines der Gräber zu bekommen.

Romy beschließt dem ein Ende zu setzten und die Alten zu beschäftigen. Sie entschließt sich auf dem Hof der Großmutter ein elisabethanisches Theater zu bauen. Doch mit ihrer spontanen Idee stößt sie bald an verschiedene Grenzen … die des Geldes, der Baubehörde und der Besetzung für das Stück … Schafft sie es dennoch?

„Menschen verändern sich. Manche verlassen ihre Heimat und finden woanders eine neue. Es gibt nicht die eine Liebe, die alles festlegt. Die Welt hat viel zu bieten. Und manchmal muss man länger suchen, bis man findet, was das Herz berührt.“ (Seite 392)

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen. Man konnte sich sehr gut in die Geschichte fallen lassen. Die Idylle des Dorfes mit all seinen Bewohnern hätte auch mein Dorf sein können. Wer auf dem Land lebt, weiß, dass man nicht alleine ist. Jeder kümmert sich um jeden bzw. einige würden es auch einmischen nennen. Wie auch immer. Diese Gemeinschaft in Romys Dorf ist die, wie es sie überall auf der Welt geben könnte. Mal ist man sich näher mal weniger.

Doch neben der lustigen Geschichte rund um Ben, Romy und dem Theater gab es aber auch viele nachdenkliche Themen … das Leben auf dem Land mit seinen Vor- und Nachteilen … Alterseinsamkeit … die Todessehnsucht der Alten und wie man es schafft ihnen neuen Lebensmut zu geben … das Aufwachsen ohne Eltern und die Sehnsucht zu erfahren wer der Vater ist … Heimatlosigkeit und das Heimat nicht unbedingt ein Ort sein muss, sondern auch Menschen sein können … Republikflucht …

All diese Themen streift der Autor nur, aber dennoch hat es mir sehr gut gefallen, wie er diese in sein Buch eingebaut hat. Dies ist eines der Bücher, mit dem man seine Emotionen ausleben kann … ich habe gelacht, geweint und vieles reflektiert …  Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen!

„Das Leben verbraucht den Geist, das ist wahr, aber es kann ihn auch mit neuer Kraft befeuern.“ (Seite 297)

„Der Konjunktiv jedoch war das Glitzerpapier auf dem Geschenk namens Leben (…)“ (Seite 399)

4 von 5 Sternen

 

Von Träumen und Hoffnungen …

Atlantik Verlag Fester Einband 240 Seiten Erscheinungsdatum: 18.01.2016 Preis: 20,00 € ISBN: 9783455650228

Atlantik Verlag
Fester Einband
240 Seiten
Erscheinungsdatum:
18.01.2016
Preis: 20,00 €
ISBN: 9783455650228

Klappentext
Daniel, der unscheinbare Buchhalter, möchte endlich zeigen, dass er mehr drauf hat, als sein Chef. Die junge Fanny muss den Mut aufbringen, ihren verheirateten Liebhaber zu verlassen, damit sie die Liebe ihres Lebens finden kann. Und Pierre, der weltbekannte Parfümeur, träumt davon, nach viel zu langer Zeit wieder einen einzigartigen Duft zu kreieren. Sich seine Lebensträume zu erfüllen, ist doch nur Kopfsache, oder?
Als François Mitterand eines Abends in einer Brasserie seinen Hut vergisst, landet er auf Daniels Kopf. Von da an ändert sich in Daniels Leben alles – der Hut scheint über geheimnisvolle Kräfte zu verfügen! Doch er bleibt nicht bei Daniel, sondern wandert weiter zu Fanny, der unglücklich verliebten Hobbyschriftstellerin – und plötzlich steht einer neuen Liebe nichts mehr im Weg. Was braucht es also, um das Leben vieler Menschen zu ändern? Nichts weiter als einen Hut, den Hut des Präsidenten …

∗∗∗∗∗

„Seit er ihn trug, machte der Hut ihn durch seine bloße Gegenwart gegen die Unbilden des Alltags immun. Besser noch, er schärfte seinen Geist und ermunterte ihn, gewichtige Entscheidungen zu treffen.“  (Seite 43/ 44)

Daniel Mercier lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Paris. Eigentlich ist er glücklich, wäre da nicht sein neuer Chef, der nicht viel von ihm hält. Einen Tag, bevor seine Frau und sein Sohn wieder aus dem Urlaub zurück kommen, genehmigt sich Daniel ein Essen in einer Brasserie. Im Laufe des Abends nimmt Mitterand am Nebentisch Platz. Daniel kann es kaum glauben, dass der Präsident höchstpersönlich am Nachbartisch sitzt. Nach einem ausgiebigen Essen mit seinem Sekretar verlässt der Präsident die Brasserie wieder. Er vergisst jedoch seinen Hut, den er neben Daniel auf die Bank gelegt hat. Daniel kann es gar nicht glauben, setzt sich den Hut auf und geht mit ihm hinaus, ohne dass es jemandem auffällt. Aber das ist noch nicht das Grösste was Daniel widerfährt, denn plötzlich hat er das Gefühl, dass der Hut ihn mutiger und selbstbewusster macht. So gestärkt wagt Daniel einen entscheidenden Schritt  …

„Der Filzhut war binnen weniger Sekunden zu einer Krücke geworden, auf die sie schon lange wartete. Die Feigheit, die sie daran gehindert hatte, mit Édouard Schluss zu machen, war soeben verflogen.“ (Seite 63)

F.M. … das sind ihre Initialen denkt Fanny Marquant, als sie den Filzhut in der Gepäckablage des Zuges findet. Sie beschließt den Hut einfach an sich zu nehmen und verschwindet mit ihm aus dem Zug. Fanny hat das Gefühl, dass der Fund des Hutes mit ihren Initialen etwas zu bedeuten hat. Sie wünscht sich, dass das bevorstehende Treffen mit ihrem Liebhaber endlich eine Wende in ihrem Leben bringt. Sie wünscht sich so sehr, dass sie Édouard von seiner Frau trennt um mit ihr ein glückliches Leben zu leben. Fanny nimmt sich vor, ihn auf eine Trennung anzusprechen. Voller Mut und Zuversicht macht sie sich auf den Weg zum Treffen, doch dies wird anders verlaufen als sie ahnt …

Er hatte den Hut auf die Oberschenkel gelegt und streichelte ihn langsam, um sich die Zeit zu vertreiben. Dieses Streichen seiner Finger über den Filz ließ ein Bild aus seiner Kindheit aufsteigen: Aladin, der seine Wunderlampe reibt, um den guten Geist zu rufen, der ihm alle seine Wünsche erfüllen wird.“ (Seite 86)

Pierre Aslan ist fasziniert, als er den Hut das erste Mal an die Nase hält. Die vielen verschiedenen Düfte schärfen seine Sinne. Zwei Düfte sind ihm besonders bekannt … es sind seine eigenen Kompositionen. Doch es haften noch andere Düfte an diesem Hut, und schnell wird ihm klar, dass mehrere verschiedene Menschen diesen Hut getragen haben müssen. Er erinnert sich an seine Zeit … der Zeit in der er ein gefeierter Parfümeur war. Lange ist es her und in all den vergangenen Jahren  ist es ihm nicht gelungen einen neuen Duft zu kreieren. Doch nun faszinieren ihn die Düfte des Hutes und er schließt nach Jahren die Tür zu seinem Labor auf, um zu experimentieren …

„Nun war die nächste Stufe erreicht, es war eine Feststellung. Die Leute aus seiner Welt erkannten ihn nicht mehr als ihresgleichen an. Manchmal führt uns das Leben auf neue Wege, man hat eine Abzweigung genommen, ohne es zu merken, der große Navigator des Schicksals ist nicht der vorgeschriebenen Route gefolgt, und kein Schild hat uns vor dem Punkt gewarnt, an dem es kein Zurück mehr gibt.“ (Seite 182)

Bernard Lavallière ist ein reicher Mann.  Er hat sein Vermögen geerbt … und seine Freunde irgendwie auch. Er führt ein Leben wie es seine Familie schon immer geführt hat. Er hat sich diesem Leben angepasst und führt es fort, so wie viele Generationen vor ihm. Ob er damit glücklich vermag er nicht wirklich zu sagen. Er macht Dinge, weil es sich so gehört und es schon immer so war. Eines Tages nimmt er versehentlich den falschen Hut, als er ein Restaurant verlässt. Und schnell wird klar, dass der Hut etwas mit ihm macht. Er beginnt eine persönliche Rebellion …

„Die wichtigsten Ereignisse unseres Lebens sind immer die Folge einer Verkettung winziger Details“ (Seite 28)

„Der Hut des Präsidenten“ ist das zweite Buch des französischen Autors Antoine Laurain  und ich war mega gespannt darauf, da er mit seinem Debütroman „Liebe mit zwei Unbekannten“ ein fantastisches Buch geschrieben hatte. Und wieder schafft es Antoine Lauraine mich in den Bann zu ziehen. „Der Hut des Präsidenten“ beschreibt die Geschichte von vier Menschen, deren Leben sich durch einen Hut verändert. Aber es ist nicht irgendein Hut, nein, es ist der Hut des französischen Ministerpräsidenten François Mitterand. Und alle glauben, dass von ihm etwas Besonderes ausgeht.

Wieder schafft es Antoine Laurian mit leisen  Tönen in einer wundervollen Sprache mich zu verzaubern. Mir haben die einzelnen Geschichten sehr gut gefallen. Sie alle sind miteinander verbunden und doch nicht. Es sind Menschen wie du und ich, Menschen die sich nicht kennen und doch etwas gemeinsam haben … Träume und Hoffnungen. Sie alle glauben, dass sie mit Hilfe des Hutes etwas in ihrem Leben bewegen können. Natürlich ist es im wahren Leben nicht ganz so einfach, doch ehrlich  gesagt bedarf es manchmal einer solchen „Krücke“ … „Symbol“ um endlich seine Träume zu verwirklichen.

Meine „Krücke“ war ein langes intensives Gespräch mit einem Menschen, der mir vollkommen fremd war. Heute lebe ich meinen Traum …  in „Angelikas Büchergarten“

„Ich glaube an die Kräfte des Geistes und werde euch nicht verlassen.“ (Seite 239)

Unbedingt lesen!!!

5 von 5 Sternen

Und ein Funken Hoffnung bleibt bis zum Schluss

Suhrkamp Fester Einband 154 Seiten Erscheinungsdatum: 07.03.2015  Preis: 16,95 € ISBN: 9783518424711

Suhrkamp
Fester Einband
154 Seiten
Erscheinungsdatum: 07.03.2015
Preis: 16,95 €
ISBN: 9783518424711

Klappentext
Winters Garten, so heißt die idyllische Kolonie jenseits der Stadt, in der alles üppig wächst und gedeiht, die Pflanzen wie die Tiere, in der die Alten abends Geige spielend auf der Veranda sitzen, die Eltern ihre Säuglinge wiegen und die Hofhunde den Kindern das Blut von den aufgeschlagenen Knien lecken.
Winters Garten, das ist der Sehnsuchtsort, an den der Vogelzüchter Anton mit seiner Frau Fredericke nach Jahren in der Stadt zurückkehrt, als alles in Bewegung gerät und sich wandelt: die Häuser und Straßenzüge verfallen, die wilden Tiere in die Vorgärten und Hinterhöfen eindringen und der Schlaf der Menschen schwer ist von Träumen, in denen das Leben, wie sie es bisher kannten, aufhört zu existieren.

∗∗∗∗∗

„Man wartet viel, wenn man Kind ist, und: man erwartet viel. Als Kind besitzt man diese unsagbare Zeit, sich die Welt anzusehen. Man geht tastend durch die Welt und weckt die Gegenstände. Nie wieder weiß man so viel, und nie wieder verspricht man sich so viel von ihr. Nie wieder schaut man so uneitel auf all das, was anwesend ist um einen. Die Augäpfel sind Erdkugeln, auf denen eine Schwerkraft wirkt, die alle Bilder aus dem Äther zu ihnen herabzieht. Nie wieder sieht man in Kleinigkeiten so sehr Grund zu großen Hoffnungen.“ (Seite 20)

Der Roman setzt in Anton Winters Kindheit ein. Sein Leben in Winterschen Garten, der gleichzeitig eine Kolonie ist. Dort tummeln sich Menschen aller Art. Alte und Junge gleichermaßen. Das Ganze hat für mich etwas von einer Hippiekommune. Für Anton ist es das Paradies. Als Anton alt genug ist, bringt ihm sein Vater das Geigen bauen bei. Als seine Großmutter, die er sehr liebt, stirbt, verschwindet Anton aus der Kolonie.

„Noch heute liebte er so wie damals die Minuten nach dem Erwachen, in denen man ins Narrenkastel schaute und sich die Welt um einen herum erst langsam wieder herstellte, während der Körper noch eine Mumie, eine stille Hülle vom Schlaf war, in der sich nur die Augen bewegten. Diese Leere vor oder hinter der Welt, in die man hineinschaute. Auch wenn er heute gar nicht mehr weit schauen musste für diese Leere.“ (Seite 43)

Jetzt lebt Anton in der Stadt. Diese ist nur 1 Stunde Fahrt von der Kolonie entfernt. Hier arbeitet er als Vogelzüchter und jetzt erfahre ich auch das erste Mal, dass die Welt untergehen wird. Warum und wieso wird nicht näher beschrieben. Allerdings ist das Leben in der Stadt unerträglich. Regelmäßig gibt es Massenselbstmordpartys, die Stadt zerfällt immer mehr und das Leben weicht langsam aus allem und jedem heraus.

„Immer noch war das Leben ein Warten. (…)Jeder war abgenabelt, von der Zukunft, die er sich ausgemalt hatte, von all ihren Verheißungen und Herausforderungen.“ (Seite 47)

Eines Tages treffen Anton und Fredericke aufeinander, und sie verlieben sich ineinander. Für Anton ist es die erste Liebe. Und obwohl das Leben ja bald vorbei ist, versuchen die beiden ihre Liebe zu leben. Kurz vor der endgültigen Apokalypse gehen sie zurück in den Winterschen Garten.

„Sie hat ihn so vermisst. (…) All die kleinen Gesten, die die beiden miteinander verbanden, haben ihr so sehr gefehlt, und sie hat gewusst, dass niemand Neues kommen wird, um sie zu ersetzen. Ich glaube es war nicht nur der Verlust, es war auch der Liebeskummer, den man noch im Alter spürt, wenn man sich nicht erinnern kann, wann einem jemand das letzte Mal die Hand gehalten hat.“ (Seite 116)

Ich bin immer noch sehr aufgewühlt, denn dieses Buch hat mich echt umgehauen. Obwohl durch die Thematik eine durchgehende Weltuntergangsstimmung herrscht, gelingt es der Autorin Valeri Fritsch mit ihrer bildhaften und poetischen Sprache eine Sehnsucht in mir zu wecken, welche mit jeder Seite mehr wird. Eine Sehnsucht nach dem Leben, dem Lieben und den Kleinigkeiten in meinem Leben. Ich spüre die Hoffnung und die Erwartungen der Protagonisten, dass es doch irgendwie weiter geht … nach der Apokalypse.

„Alles, was war, teilt sich die Welt mit all jenem, was sein würde.“ (Seite 16)

Ich habe noch lange über dieses Buch nachgedacht und möchte an dieser Stelle einmal eine sehr gewagte Interpretation meinerseits dazu geben.

Nach dem Ende des Buches war für mich irgendwie klar, dass es sich bei Winters Garten um das Paradies handeln muss. Anton und all Bewohner dieses Gartens sind dort glücklich. Als Anton dann in die Stadt geht, in meinen Augen die Vertreibung aus dem Paradies, fühlt er sich allein und einsam. Erst nachdem er mit Fredericke wieder zurück geht, wird er wieder glücklich. Und selbst nach dem Ende der Welt befindet er sich im Paradies …

„Es herrschte eine Ruhe, in der man sich den Atem verhalten mochte, jene Stille, wie sie in den atemlosen Sekunden am Ende eines Theaterstücks eintrat, in denen alles schon vorbei war und man noch nicht wusste, ob es gut oder schlecht gewesen war, bevor der schwarze Vorhang fiel und das Publikum sich für Gnade oder Empörung entschied.“ (Seite 143/144)

Für mich ist dieses Buch definitiv eines meiner Highlights in 2015.
Chapeau Valerie Fritsch!!!

 

5 von 5 Sternen

Ich danke dem Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar.

„Familie. Ein Puzzel aus Menschen“

Tropen bei Klett-Cotta Fester Einband 314 Seiten Erscheinungsdatum: 21.02.2015  Preis: 19,95 € ISBN: 9783608501483

Tropen bei Klett-Cotta
Fester Einband
314 Seiten
Erscheinungsdatum: 21.02.2015
Preis: 19,95 €
ISBN: 9783608501483

Klappentext
Bobby Nusku fristet seine Tage damit, Haare, Kleidungsstücke und weitere Spuren seiner verschwundenen Mutter zu sammeln und zu archivieren. Er fühlt sich im Haus seines grobschlächtigen Vaters und dessen wasserstoffblonder Freundin ziemlich einsam, besonders nachdem sein einziger Freund Sunny eines Tages wie vom Erdboden verschluckt ist. Die Freundschaft zwischen Nachbarsmädchen Rosa und ihrer Mutter Val, die Putzfrau in einem Bücherbus ist, gibt ihm Hoffnung und macht ihm Mut, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Als alles drunter und drüber geht, machen sich Val, Rosa und Bobby gemeinsam mit dem sympathischen Outlaw Joe auf eine verrückte Reise mit Vals Bücherbus quer durch England. Im Gepäck haben sie nur das nötigste: ihre Freundschaft und eine Menge guter Bücher.

∗∗∗∗∗

„Das waren der Moment, in dem Bobby die schwindelerregende Übelkeit kennenlernte, die auf einen eben erst begangenen Fehler folgt. Fehler sind jene Momente, während derer wir die Zukunft so fest umklammern, dass sie uns zwischen den Fingern zerbirst, und wir erkennen, dass wir aus den verbleibenden Bruchstücken eine vollkommen andere Zukunft bauen müssen, eine, die nie wieder so gut sein wird wie vorher. Bobby fragt sich, wie viele Bruchstücke es  wohl geben würde und ob einige von ihnen so klein sein würden, dass er sie nicht mehr aufheben konnte.“ (Seite 35)

Bobby Nusku ist ein einsames und trauriges Kerlchen. Seine Mutter hat die Familie verlassen und er lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin. Beide leben so, als wäre Bobby überhaupt nicht da. Auch in der Schule wird er gemobbt und sein einziger Freund ist Sunny. Der will sich unbedingt in einen Cyborg verwandeln, damit er Bobby vor den großen und bösen Jungs beschützen kann. Doch eines Tages ist Sunny fort und Bobby vollkommen alleine. Dann trifft er auf Rosa und deren Mutter Val.

„Die Wärme, die seine Gegenwart ihr schenkte, klang noch lange fort, verweilte wie der Abdruck eines Kissen auf der Haut nach einer wohlig durchschlafenden Nacht.“ (Seite 63)

Rosa trifft Bobby durch Zufall hinter der Schule und schleppt ihn mit nach Hause. Ihre Mutter ist zunächst etwas skeptisch was die Freundschaft zwischen den beiden betrifft. Doch auch sie hat Bobby schnell in ihr Herz geschlossen. Gemeinsam verbringen die drei viel Zeit miteinander. Eines Tages beschließen die drei eine Tour mit dem Bücherbus zu machen, in dem Val als Putzfrau arbeitet.

„>In jedem Buch gibt es irgendeinen Hinweis auf dein eigenes Leben<, sagt sie. >Auf diese Weise sind die Geschichten alle miteinander verbunden. Du erweckst sie zum Leben, wenn du sie liest, und dann wirst du das, was darin passiert, auch selbst erleben. <“ (Seite 73)

Auf ihrer Reise treffen sie auf den Joe. Ein Mann in Vals Alter. Er wuchs ohne Familie auf. Schnell wird allen klar, Joe muss mit auf die Reise. Und so beschließen sie nach Schottland zu fahren, um Joes geheimnisvolles Schloss zu finden. Mit dabei sind die vielen Geschichten aus den Büchern im Bücherbus. Ist eine Geschichte gelesen, so wirft Bobby das Buch aus dem Bus, um eine Spur der gelesenen Bücher zu hinterlassen. Doch der Schein trügt, denn das Unheil ist näher als alle denken …

„Immer wenn er hörte, wie Leute – meistens Lehrer – von Hoffnung sprachen, dann klang es so, als sei das etwas, was man nur in Zeiten der Verzweiflung haben konnte. Bobby glaubte nicht, dass das stimmte. Er wusste zum Beispiel ganz genau, dass seine Mutter zurückkommen würde. Das war Hoffnung. Hoffnung ist eine Konstante, ein Seelenlotsenlicht. Es flackert nie. Es geht nie aus. Und auch wenn sie es vielleicht nicht wissen, so wärmen sich die Menschen doch jeden Tag ihre Hände daran. Es hilft ihnen dabei, morgens aufzustehen. Es bringt sie dazu, das Haus zu verlassen. Es gibt ihnen Kraft, ihr Leben zu meistern.“ (Seite 101)

Was für eine wundervolle Geschichte. Alle Protagonisten sind auf ihre Art und Weise besonders. Bobby hat seit dem Tod seiner Mutter autistische Züge. Rosa rastet auf Grund ihres Down-Syndrom oft aus, aber Val liebt ihre Tochter über alle Maßen. Ihr Mann ging, als nach der Geburt diese Diagnose gestellt wurde. Und auch Joe ist ein Einzelgänger und –kämpfer. Aber alle haben eines gemeinsam … sie suchen Liebe und Geborgenheit. Die Liebe und Geborgenheit, die ihnen ihre Familien nicht bieten oder geben konnten, finden die vier in ihrer kleinen Gemeinschaft. Und das ist das phantastische an diesem Buch … obwohl es so viel Traurigkeit in dieser Geschichte gibt, wird mir beim Lesen ganz warm ums Herz. Ich spüre, wie die vier sich gegenseitig Mut, Hoffnung und Liebe geben. Sie brauchen ihre „Familien“ nicht. Sie brauchen sich, denn …

„Familie ist dort, wo man sie findet.
Eine Familie muss nicht aus einem Vater, einer Mutter, einem Sohn und einer Tochter bestehen. Familie ist dort, wo es genug Liebe gibt. Und für diese vier war es eben jene ungleiche und außergewöhnliche Gruppe von Menschen … Der Junge, die Königin, die Prinzessin und der Höhlenmensch.“ (Seite 282)

Unbedingt lesen, aber Vorsicht … Suchtgefahr!!!

5 von 5 Sternen